Im März 2024 nahm die Reemtsma-Muttergesellschaft Imperial Brands an einer Podiumsdiskussion in Brüssel zur angemessenen Regulierung neuartiger, potenziell risikoreduzierter Nikotinprodukte in Europa teil. Diese Produkte stehen vor dem Hintergrund der Neubewertung des EU-Rahmens zur Eindämmung des Tabakkonsums durch die Europäische Kommission seit Längerem weit oben auf der Agenda, auch in Deutschland.
Wie geht es also weiter mit diesen Produkten? Um diese Frage zu klären, hat die in Brüssel ansässige Medienagentur Euractiv am 6. März 2024 eine öffentliche Veranstaltung nach der sogenannten „Chatham House Rule“* durchgeführt.
Der folgende Text ist eine überarbeitete Übersetzung des Euractiv-Nachberichts zu dieser Veranstaltung, veröffentlicht am 2. April.
Die EU-Evaluierung zur Eindämmung des Tabakkonsums wird voraussichtlich Ende 2024 abgeschlossen sein. Beschleunigt wurde sie vor allem durch das Aufkommen neuer Nikotinprodukte und das rasante Innovationstempo im Nikotinsektor. Dies veranlasste die Kommission zur Frage, ob die aktuelle EU-Tabakproduktrichtlinie (Tobacco Products Directive, TPD) überarbeitet werden muss oder ob sie weiterhin zeitgemäß ist. Ob sie also das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes gewährleistet und gleichzeitig ein hohes Maß an Gesundheitsschutz, insbesondere für Jugendliche, berücksichtigt.
Einige Teilnehmende des Panels aus Wissenschaft, Industrie und EU-Bürgerinitiativen erkennen zwar die mit potenziell risikoärmeren Produkten verbundenen Risiken an, betonen zugleich aber auch das Schadensminderungspotenzial dieser Alternativprodukte und unterstreichen die Bedeutung wissenschaftlicher Belege und evidenzbasierter Regulierungsentscheidungen.
Es wurde vorgeschlagen, E-Zigaretten mit einer Verbrauchssteuer zu belegen. Diese soll es den Mitgliedstaaten ermöglichen, deren Vertrieb besser zu überwachen und zu kontrollieren, sowie gleichzeitig einen deutlichen Preisunterschied zu herkömmlichen Zigaretten aufrechtzuerhalten, um erwachsenen Raucherinnen und Rauchern den Umstieg zu erleichtern. Darüber hinaus sollten Einzelhandelslizenzen eingeführt und auf nationaler Ebene eine verstärkte Durchsetzung von Altersbeschränkungen beim Verkauf neuartiger Nikotinprodukte erreicht werden – neben Sanktionen für Einzelhändler, die an Minderjährige verkaufen.
Der Wissenschaft folgen, nicht den Emotionen
„Wir müssen der Wissenschaft folgen, nicht den Emotionen“, so lautete die Kernaussage eines Diskussionsteilnehmers. Des Weiteren wurde argumentiert, dass die mögliche Überarbeitung der TPD eine Gelegenheit sei, das volle Potenzial von neuartigen Produkten mit potenziell reduziertem Gesundheitsrisiko auszuschöpfen. Zwar bestehe ein offensichtliches Problem mit minderjährigen Nutzerinnen und Nutzern von E-Zigaretten. Allerdings habe sich in dem Zusammenhang ein kritischer Aspekt des EU-Rechtsrahmens als weitgehend unwirksam erwiesen: die Durchsetzung.
Der Zugang für Jugendliche zu diesen Produkten sei zu einfach. Es mangele an der Durchsetzung geltender Vorschriften und es sei versäumt worden, zusätzliche verhältnismäßige Vorschriften zu erwägen, um zu verhindern, dass nicht-rechtskonforme Produkte auf den Markt kämen. Durch ein Verbot rechtskonformer Aromen und Bezeichnungen würde der öffentliche Nutzen in Form einer Unterstützung erwachsener Raucherinnen und Raucher beim Umstieg von herkömmlichen Tabakprodukten verloren gehen, so die Argumentation.
Es wurde auch angemerkt, dass eine zu weitgehende Auslegung von Artikel 5.3 des WHO-Rahmenübereinkommens zur Tabakkontrolle (WHO FCTC) bis hin zum Versuch, die öffentliche Diskussion über Tabak und neuartige Nikotinprodukte einzuschränken, kontraproduktiv sei. Angesichts der Tatsache, dass die Industrie weitgehend von der politischen Diskussion ausgeschlossen ist, sei es „eine Ungerechtigkeit, dass nicht alle Parteien in die Debatte einbezogen werden und die Notwendigkeit von mehr Ausgewogenheit zum Ausdruck kommt.“
Der Erfolg Schwedens bei der Reduzierung seiner Raucherquote, so ein Redner, sei der schwedischen Politik der Schadensminderung zu verdanken. Schweden erhebt niedrigere Steuern auf Snus und höhere Steuern auf Zigaretten, wobei ein Diskussionsteilnehmer dafür plädierte, dass die EU orale Tabakerzeugnisse im Binnenmarkt zulassen und Nikotinbeutel regulieren sollte.
Von TPD2 zu TPD3
Die laufende Evaluierung der aktuellen EU-Tabakproduktrichtlinie (TPD2 – 2014 verabschiedet und seit 2016 in Kraft) durch die Europäische Kommission befasst sich mit dem Anwendungsbereich der Herstellungsvorschriften, der Aufmachung und dem Verkauf von Nikotinerzeugnissen in der EU, einschließlich herkömmlicher Zigaretten und Feinschnitttabak sowie neuer Nikotinerzeugnisse wie E-Zigaretten und Tabakerhitzer.
Der Zeitplan für die Bewertung sieht einen Abschluss im zweiten Halbjahr 2024 vor. Somit könnte ein TPD3-Vorschlag frühestens im ersten Halbjahr 2026 vorgelegt werden.
Die Redner äußerten die Befürchtung, dass dieser Vorschlag so belastend und restriktiv sein könnte, dass das gesundheitspolitische Potenzial der Schadensminderung durch die Einführung unzumutbarer Hürden für erwachsene Nutzer neuartiger Nikotinprodukte zunichtegemacht wird, obwohl das Konzept der Tobacco Harm Reduction (THR) in einigen Mitgliedstaaten erfolgreich zur Senkung der Raucherquote beigetragen hat.
Bei der Erörterung möglicher neuer Beschränkungen im Rahmen von TPD3 nannten die Anwesenden ein Aromenverbot in neuen Nikotinerzeugnissen, ein Verbot von Nikotinbeuteln, strengere Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften für alle Erzeugnisse und insgesamt den Wegfall einer Unterscheidung zwischen herkömmlichen und neuartigen, potenziell risikoreduzierten Nikotinerzeugnissen.
Auf die Frage von Euractiv nach der Gültigkeit von THR-Maßnahmen vor dem Hintergrund eines Konsums durch Minderjährige, erklärten die Diskussionsteilnehmenden, dass sie die EU-Vorschläge zum Verbot möglicherweise besonders jugendaffinen Produktdesigns und Aromenbeschreibungen unterstützen, ohne jedoch die Vielfalt verfügbarer Aromen einzuschränken.
Geschmacksrichtungen
Aromen in E-Zigaretten spielen nach Meinung der Diskussionsteilnehmenden eine entscheidende Rolle beim Umstieg erwachsener Raucherinnen und Raucher. Die meisten von ihnen, die auf E-Zigaretten umgestiegen sind, hätten dafür aromatisierte Produkte verwendet.
Darüber hinaus wurde die Gültigkeit tatsächlicher Nutzungsdaten diskutiert, wonach Einweg-E-Zigaretten erwachsenen Raucherinnen und Rauchern den Umstieg auf neuartige Nikotinprodukte noch mehr erleichterten als nachfüllbare E-Zigaretten. Vor dem Hintergrund wurde argumentiert, dass ein Verbot „desaströs wäre für den Wechsel zu potenziell risikoreduzierten Produkten und, noch schlimmer, erwachsene Raucher zu unregulierten und unsicheren illegalen Einwegprodukten drängen könnte.“
*Die Chatham House-Regel ist eine 1927 vom Royal Institute of International Affairs („Chatham House“) aufgestellte Verschwiegenheitsregel. Sie regelt die Weitergabe von Inhalten vertraulicher Gespräche an Dritte und besagt: „Bei Veranstaltungen (oder Teilen von Veranstaltungen), die unter die Chatham-House-Regel fallen, ist den Teilnehmern die freie Verwendung der erhaltenen Informationen unter der Bedingung gestattet, dass weder die Identität noch die Zugehörigkeit von Rednern oder anderen Teilnehmern preisgegeben werden dürfen.“
Beitragsbild: Tim Reckmann/ccnull.de